Wellington

17.03.2015

Den Oberkörper vornüber gebeugt, den Hut unter dem Arm. Die brozene Statue vor der Faculty of Law der Victoria Univeristy sagt alles über die Wetterlage in Wellington aus: es ist windig. So windig, dass man wie der Gründer der Universität eine Kopfbedeckung lieber festhält und sich gegen den Wind stemmen muss. Obwohl es wegen den Ausläufern des Zyklons diese Tage besonders windig sein mag, finden wir mehrere Anzeichen dieser besonderen Witterung, beispielsweise Hinweistafeln, welche die gefühlte Temperatur bei bestimmten Windstärken angeben. Auffällig schnell ziehen die Wolken über den Himmel.

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Mit den oberirdischen Telefonleitungen und Oberleitungen für Busse mit angelartigem Stromabnehmer erinnert das Stadtbild ans kalifornische San Francisco. Allerdings ist Wellington sehr viel kleiner. Von Nord nach Süd durchquert man den Stadtkern mit dem Auto in zehn Minuten, wenn man nicht gerade im Stau festsitzt.

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Während wir im Berufsverkehr eingekeilt warten, läuft im Radio die Show "Who is X?". Gesucht wird eine Person, welche die Facebook-Seite des Radiosenders mit "Gefällt mir" markiert hat. (Zumindest verstehen wir es so, möglicherweise funktioniert die Anmeldung zum Gewinnspiel auch anders.) Der Radiosender hat einen Privatdetektiv auf diese ausgewählte Person angesetzt und verrät von Tag zu Tag mehr Informationen. Wer anruft und den Namen von Mr. X nennen kann, teilt den Gewinn mit Mr. X. Zufällig ruft genau in diesem Moment der Freund der gesuchten Vicky an und räumt beim Gewinnspiel ab. Von einem Detektiv verfolgt worden zu sein, sei Vicky nicht aufgefallen, gibt sie am Telefon an.

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Hügel eignen sich immer als willkommenes Ausflugsziel, um einen Überblick über eine Stadt zu bekommen. In Wellington verspricht der Mount Victoria mit einer Höhe von 196 m über dem Meeresspiegel eine grandiose Aussicht über die Buchten am Wasser, den Hafen und den Stadtkern.

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Als wir den Gipfel erreichen, schwebt eine dicke dunkle Wolke über die Stadt und sorgt für weltuntergangstaugliche Lichtstimmung. Doch bei der Geschwindigkeit, mit denen die Wolken ziehen, verzieht sich das schwarze Schaf bald im Landesinneren.

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Gegenüber des Mount Victoria auf der anderen Seite der Stadt verbindet eine Cable Car Linie den Stadtteil Kelburn mit der Hauptgeschäftsstraße Lambton Quay im Zentrum.

Dass heute St. Patrick's Day ist, wird uns beim Check in im Dwellington, einem netten kleineren Hostel, bewusst. Irische Musik schallt durchs ganze Haus und die Stimmung ist ausgelassen. Zu erwähnen auch die Schlüsselbox, in die man die Schlüsselkarte bei der Abreise werfen soll. Das Plastikstück entpuppt sich als reine Fassade, sodass die Schlüsselkarte dahinter auf den Boden fällt.

Mit den wenigen kostenlosen Parkplätzen am Hostel schaffen wir es, keinen Dollar an Wilsons Parking abtreten zu müssen. Überall in der Stadt finden sich die Parkplätze und -häuser mit dem roten Logo und sündhaft teuren Parkgebühren. Ein Platz direkt neben dem Dwellington wäre für den Tag $21 wert.

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Am nächsten Morgen brechen wir zu einer zweistündigen Walking Tour (Stadtführung) auf. Die pensionierten Führerin berichtet, dass Wellington vor allem wegen seiner zentralen Lage zur Hauptstadt ernannt wurde. Zu jeder Statue, an der wir ohne Führung wahrscheinlich blicklos vorübergelaufen wären, gibt es eine Geschichte zu erzählen. Einige künstlicherische Gestaltungen zieren die Fußgängerbrücke vom Civic Square über den Jervois Quay zum Hafenviertel.

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Die Gegend um den Jervois Quay eignet sich hervorragen, um Googles aktuelles Osterei zu testen.

[884] Faculty of Law, Victoria University of Wellington

Bemerkenswert sind auch die Aufwände, die geleistet werden, um 100 Jahre alte (und damit historische) Bauwerke erdbebensicher zu machen. Ganze Gebäude werden ausgegraben und auf Podeste gestellt. Besonders gut sieht man die Vorkehrungen am Parlamentsgebäude. Die Risse in den Bordsteinen rundum das Parlament rühren nicht etwa von Mäusen, sondern geben dem Gebäude absichtlich Freiheit für Verschiebungen in die Horizontale.

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Weil es der Form eines Bienenstocks ähnelt, nennen die Wellingtonians ihr Parlamentsgebäude auch Beehive. Bei einer kostenlosen Führung bekommen wir die flexiblen Stützen des Bienenstocks im Keller zu sehen. Unsere Führerin adressiert ihre Begrüßung so undeutlich, dass wir erstmal kein Wort verstehen. Schnell stellt sich heraus, dass sie in der Sprache der Maori gesprochen hat. Maori ist übrigens neben Englisch offiziell anerkannte Amtssprache.

Die oberen Stockwerke des Bienenstocks gehören dem Ministerpräsidenten und der Regierung, die unteren und ein kleiner Wolkenkratzer nebenan dem neutralen Sprecher und der Opposition.
Die Debate Chamber, vergleichbar mit dem Raum, in dem der Bundestag tagt, dürfen wir leider nicht besichtigen, weil eine weitere Tagung der Abgeordneten unmittelbar bevorsteht. Stattdessen bekommen wir alle Details der Gesetzgebung in einer der Kammern erklärt, in der sonst ein Ausschuss an Fachwissenden über ein neues Gesetz berät. Theoretisch darf hier auch jeder Bürger eigene Vorschläge einreichen und vorstellen. Die jüngste Person mit einem Vorschlag soll im Alter von neun Jahren eingeladen worden sein.

Wer einen der Filme der Herr der Ringe-Triologie, Avatar oder King Kong gesehen hat, der durfte die Arbeit von Weta Digital bewundern. Das aus Wellington stammende Unternehmen hat die Spezialeffekte für viele bekannte Filme beigesteuert und gehört zu den fortschrittlichsten Kreativbüros in dieser Branche.

Als Peter Jackson auf die späteren Gründungsmitglieder Richard Taylor und Jamie Selkirk traf, erkannten die drei, dass sie im Prinzip die gleichen Absichten hatten. Zuerst konzentrierte sich die Zusammenarbeit mit knappem Budget auf die Anfertigung von Zombiemasken und -kostümen. Für Jacksons Film Heavenly Creatures, ein in Christchurch spielender Mordfall, erlaubte das Budget den Ankauf eines ersten Computers für digitale Effekte. Mehrmals soll das 1997 gegründete Unternehmen mit dem Namen eines neuseeländischen Insekts kurz vor der Beschäftigungslosigkeit gestanden sein, als Jackson 1998 mit den Ideen für die Herr der Ringe Filme anklopfte. Das zu dieser Zeit 40 Kopf starke Team expandierte bis zum Ende der Verfilmung auf 360 Mitarbeiter. Dabei wurden bahnbrechende neue Technologien entwickelt, z.B. das Motion Capturing für die Figur von Gollum und Massive Crowd Simulation zur Animation riesiger Schlachten.

In einer Lagerhalle im vorstädtlichen Miramar bietet Weta eine dreiviertelstündige Tour durch ihren Workshop an. Fotografieren ist allerdings nicht erlaubt, da in den Hallen an noch nicht veröffentlichten Objekten gearbeitet wird. Wer eine Tour durch ein Filmstudio erwartet, fühlt sich getäuscht. Man wird lediglich durch eine kleine Halle mit aussortierten Rüstungen, Stoffpuppen und dem Miniaturnachbau einer Burg geführt. Dabei wird erklärt, wie Skizzen als Vorlage für den Film in Photoshop entstehen, wie man eine futuristische Rüstung mit dem 3D-Drucker erschafft und wie andere Bauteile mikrometergenau mit einer CNC-Fräse hergestellt werden. Wer mal die Geräte im FabLab, einer offenen Werkstatt in der Uni, verwendet hat, für den ist das alles kein Zauber mehr. Insgesamt sind wir für den heftigen Eintrittspreis ($24 pro Person) etwas enttäuscht. Einen interessanteren Einblick hinter die Kulissen gibt ein halbstündiger Film, der in der Weta Cave, einem kleinen Museum und Souvenirshop, abgespielt wird. Angeregt von den neuen Impressionen überlegt Bene die Computergraphik-Vorlesung in den Stundenplan für nächstes Semester aufzunehmen.

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Nach einem kleinen Abstecher zum Red Rocks Reserve südlich von Wellington verlassen wir am Abend die Hauptstadt auf State Highway 1 in Richtung Norden.

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